In einer Welt, in der Tradition auf Moderne trifft und die Jugend nach Antworten sucht, ist die Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung über Sexualität wichtiger denn je. Insbesondere in einem Land wie Kenia, wo im Jahre 2024 noch immer schätzungsweise 21% der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren eine Form der Genitalverstümmelung erlitten haben (1) und (Stand 2018) 25,000 Todesfälle pro Jahr auf eine HIV-Infektion zurückgeführt werden können (2). Außerdem verschärfen ungewollte Schwangerschaften die Herausforderungen für alleinerziehende Mütter, die häufig mit einem Mangel an Unterstützung und Ressourcen konfrontiert sind.
Ich bin Anna Haerty, 25 Jahre alt und habe mir nach erfolgreichem Abschluss meines Medizinstudiums im Sommer 2023, den Traum erfüllt, drei Monate als Volunteer im Maisha Mazuri Children Center in das kenianische Leben und seine Traditionen einzutauchen. Nach dieser Erfahrung bin ich umso mehr davon überzeugt, dass angemessene Sexual-Aufklärung ein Schlüssel zur Bewältigung einiger sozioökonomischer Probleme darstellt. Daher rührte meine Motivation, das Tabu-Thema in offenen Gesprächen in Kleingruppen anzugehen, sowohl mit den Kindern des MCC, der Primary- und Secondary- School, als auch mit den gesetzlichen Vertretenden der Kinder.
Überraschend für mich war das große Interesse und die Offenheit mit der wir, schon nach einem kurzen Kennenlernen, in tiefgründige Gespräche abtauchten. Unabhängig von den Altersgruppen überschritten die Fragerunden jeweils weit die vorgesehene Unterrichtszeit. Es entfachten sich angeregte Diskussionen unter den Teilnehmenden, die meist mit viel Kichern und Lachen einhergingen, vor allem bei Fragen wie: „Wenn ich Jungfrau bin und zum ersten Mal Sex haben werde, was wird passieren?“, „Ist es erlaubt, meine Vagina von innen anzufassen, wenn ich mich wasche? “ oder “Was sind feuchte Träume?”.
Altersentsprechend variierten die Themen der Arbeitsaufträge und Spiele in den Seminaren, so auch die Fragen im Anschluss. Die jüngeren Mädchen (Primary School) stellten viele Fragen zum Thema der ersten Menstruationsblutung, Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft: „Wie kann ich wissen, dass ich schwanger bin?“, „Was ist ein Tampon?“, „Ist die Periodenblutung etwas Schmutziges oder Unhygienisches?“, “Wenn du Jungfrau bist, kannst du trotzdem deine Tage bekommen?” und “Ist es erlaubt, dass ich meine Vagina berühre?”. Kulturell bedingt schwieriger zu beantwortende Fragen waren beispielsweise: “Ist es schlecht, vor der Ehe Geschlechtsverkehr zu haben?”, “Sind homosexuelle Menschen schlechte Menschen?”, “Bin ich keine Jungfrau mehr, wenn ich einen Tampon benutze?”. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, um die Balance zwischen der westlichen Auffassung von angemessener Sexualaufklärung und kenianischer Kultur und Rechtsprechung zu wahren.
Die Jugendlichen der Secondary School sind schon an komplexeren Themen interessiert. Von ihnen wurde ich gebeten mehr über die Themen „Moral bzw. Unmoral bei Geschlechtsverkehr”, „Früh- / Teenagerschwangerschaft”, „Geschlechtskrankheiten“, “Sexueller Missbrauch” und „Auswirkungen des Konsums von Pornographie”, zu sprechen.
Die gesetzlichen Vertretenden lud ich zu vierstündigen Vormittagsworkshops ein, bei denen zu meiner Freude auch „Health Care Promoter“ aus der Region zur eigenen Fortbildung erschienen. Viele dieser älteren Generation erfuhren in ihrem Leben bisher keinerlei Sexualaufklärung und die ein oder andere konservative Stimme wurde laut, vor allem in Bezug auf moderne Verhütungsmethoden: „Ist es jemals wieder möglich Kinder zu gebären, nach dem Gebrauch von Verhütungsmitteln?“, “Erzähl uns mehr über die Nebenwirkungen von den Verhütungsmitteln!”. Es bestand aber auch großes Interesse an der weiblichen Physiologie: „Wo geht die Monatsblutung hin, nach der Menopause?“, „Was sind die Blutklümpchen in der Monatsblutung?“, „Wie entstehen Zwillingsschwangerschaften?“ und “Was sind mögliche Gründe für Unfruchtbarkeit”. Die älteren Damen sorgten sich aber auch um ihre Männer und fragten: „Kann ein Mangel an Geschlechtsverkehr bei älteren Männern zum Harnstau führen?“, oder “Kann eine hysterische Frau Grund für eine psychische Krankheit ihres Mannes sein?”.
Dankbar bin ich dafür, dass die Damen auch ihre Lebensweisheiten teilten und mich unterrichteten, wie sie geschickt Lösungen finden, um teure Damenhygieneprodukte zu umgehen, auf natürliche Art zu verhüten und Kinder im häuslichen Umfeld zu gebären.
Es war mir eine große Freude, dieses Herzensprojekt umsetzen zu können und ich bin den Kindern und Jugendlichen, sowie den Mitarbeitenden des Maisha Mazuri Children Center und dem Hand in Hand für Kenia e.V. unendlich dankbar für drei Monate, die ich niemals vergessen werde.
Asante Sana!
Anna Haerty
Quellen
- V PID. Gemeinsam gegen weibliche Genitalverstümmelung | Plan International [Internet]. [cited 2024 Apr 2]. Available from: https://www.plan.de/weibliche- genitalverstuemmelung.html
- World Bank Open Data [Internet]. [cited 2024 Apr 2]. World Bank Open Data. Available from: https://data.worldbank.org